Proteste gegen Mileis Auftritte bei seiner Europareise

Vor dem Bundeskanzleramt halten Demonstrierende Plakate mit "Weg mit Milei"
Kundgebung am Kanzleramt gegen Besuch von Javier Milei. 23.6.2024, Foto: Ute Löhning

Der rechts-libertäre argentinische Präsident Javier Milei war im Juni auf Deutschland- und Europareise. Er war als Gast zum G7 Gipfel in Italien geladen und zum Ukraine-Gipfel in der Schweiz. In Spanien, Deutschland und Tschechien erhielt er mehrere Preise rechts-gerichteter Institutionen – oft begleitet von lauten Protesten.

Während Bundeskanzler Olaf Scholz Milei am 23. Juni im Kanzleramt empfängt, findet auf dem Vorplatz eine Kundgebung statt. die Protestrufe sind laut zu hören. Der Besuch war schon im Voraus umstritten. Schließlich findet er ohne militärische Ehren statt. Und – auf Wunsch Mileis – ohne Pressekonferenz. So erklärt es ein Sprecher der Bundesregierung. Denn Milei habe seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 überhaupt keine Pressekonferenzen gegeben.

Die wichtigsten Themen des Gesprächs zwischen Scholz und Milei sind die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen und der geplante Abschluss des umstrittenen Handelsabkommen zwischen der EU und der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur, der neben Argentinien auch Brasilien, Paraguay und Uruguay angehören.

Einer der Organisatoren der Kundgebung, Ezequiel Monteros, sagt, die extraktivistische Politik großer Konzerne stehe für eine neue Form der Kolonisierung. „Sie stehlen unsere Rohstoffe wie das Lithium und respektieren die Rechte indigener Gemeinschaften nicht.“
Deutschland und die EU brauchen Lithium, Kupfer, grünen Wasserstoff und andere Ressourcen für die Energiewende im Norden. Doch die Produktionsbedingungen in den Erzeugerländern – meist im globalen Süden – verstoßen oft gegen Umwelt- und Arbeitsschutzrechte. Das Handelsabkommen EU-Mercosur – sollte es bestätigt werden – wird keine verbindliche Festschreibung dieser sogenannten „weichen“ Ziele beinhalten. Aber momentan blockiert vor allem Frankreich die Annahme des Handelsabkommens.

In ihren Parolen bezeichnen die Demonstrierenden Milei als Diktator. Zwar wurde er im Dezember 2023 demokratisch gewählt, sogar mit 55% der Stimmen. Doch konnte er Mitte Juni 2024 ein Gesetzespaket, das sogenannte Basisgesetz, auf den Weg bringen, welches ihn zu weitgehenden Entscheidungsbefugnissen ermächtigt. Milei bezeichnet sich selbst als Anarcho-Kapitalist. Er vertritt er eine libertäre Wirtschaftspolitik und will den Einfluss des Staates soweit möglich zurückdrängen. Gleichzeitig steht er für eine ultra-konservative und autoritäre Politik und für enge Vernetzung mit der internationalen extremen Rechten.

Hass auf den Staat und die Demokratie

Frauen halten Plakate vor dem Bundeskanzleramt mit Namen von Verhafteten
Demonstrierende fordern die Freilassung von fünf Personen, die nach den letzten Protesten in Argentinien noch in Haft sind. 23.6.2024, Foto: Ute Löhning

„Dieser Präsident hasst den Staat, er hasst die Demokratie und er regiert uns schlecht“, sagt Monteros. „Er setzt Tausende Menschen auf die Straße und setzt sie dem Hunger aus. Er respektiert das Demonstrationsrecht nicht.“ Seine erweiterten Machtbefugnisse durch das neue „Basisgesetz“ würden die Demokratie und andere Staaten bedroht, ergänzt er.
Monteros ist einer der Gründer der Organisation HIJOS Deutschland. „Hijos“ heißt „Kinder“, es geht um die die Kinder der verschwundenen politischen Gefangenen der Diktatur. Rund 30.000 der zwischen 1976 und 1983 verschleppten Personen sind bis heute verschwunden. Einige ihrer Kinder leben heute in Deutschland.

In Argentinien wurden die Verbrechen der Diktatur juristisch und politisch sehr engagiert aufgeklärt. Die Regierung Milei und vor allem die Vizepräsidentin Victoria Villaruel, die aus einer Militärfamilie stammt und enge Verbindungen zur extrem rechten spanischen VOX Partei unterhält, stehen für eine Umkehr der an Menschenrechten orientierten Aufarbeitungspolitik.

Geschichtsrevisionistische Kräfte erstarken in Argentinien. Frühere Militärs trafen sich in der ESMA, der früheren Folterzentrale und heutigen Gedenk- und Bildungsstätte in Buenos Aires. Mit Genehmigung des Verteidigungsministeriums ließen sie sich neben einem dort ausgestellten Flugzeug fotografieren, aus dem Gefangene während der Diktatur ins Meer geworfen worden waren.

Menschenrechte, Gleichstellung, Klimapolitik, all das ist Milei ein Dorn im Auge. Insgesamt sieht sich die argentinische Regierung als konservative Gewinnerin eines Kulturkampfs. Sie hat das Frauen-, das Arbeits- und das Umweltministerium abgeschafft und verbietet Gendern in Behörden. Milei ist renommierter Ökonom rechts-libertärer Ausrichtung. Er bezieht sich auf Friedrich August von Hayek, einen der wichtigsten Theoretiker des Neoliberalismus und des Libertarismus.

„Libertär“ oder „antisozial“?

Der Soziologe Andreas Kemper lehnt den Begriff „libertär“ in diesem Kontext ab, „weil das eigentlich einen feministischen und sozialpolitischen Impetus hat“. Er schlägt die Bezeichnung »antisozial« vor, im eigentlichen Wortsinn würde das genau auf die libertäre Ideologie und die sogenannten Libertarians zutreffen.

Der soziale Kahlschlag trifft die Menschen in Argentinien besonders heftig. Sinnbildlich dafür trat Milei im Wahlkampf mit einer Kettensäge auf. Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit bezeichnet er als „Attentat gegen die Freiheit und das Privateigentum“. In den ersten sechs Monaten seiner Regierungszeit wurden zehntausende öffentliche Angestellte entlassen, staatliche Subventionen für Strom und Transport verringert, die Mietpreisbremse abgeschafft und das Bildungsbudget um 70 Prozent gestutzt. Proteste dagegen werden brutal niedergeschlagen. 55 Prozent der Bevölkerung leben inzwischen unter der Armutsgrenze, die Zahl ist rasant gestiegen.

Milei will einen Systemwechsel

Trommeln am Kanzleramt bei Protesten gegen Besuch Javier Mileis
Trommler bei der Kundgebung gegen den Besuch von Javier Milei am Kanzleramt. 23.6.2024, Foto: Ute Löhning

„Das Ziel dieser Regierung ist ein Systemwechsel, so wie die Diktatur damals auch einen Systemwechsel wollte“, erklärt die Leiterin der 1979 gegründeten Menschenrechtsorganisation CELS aus Buenos Aires, Paula Litvachky. Milei wolle den Staat grundlegend verändern. Dafür seien tiefgreifende Reformen der Wirtschaft, des Staates und der Gesellschaft wichtig. „Das ultraliberale Wirtschaftsmodell bedingt eine Beschneidung des Staates. Genauso wichtig ist – als dritte Komponente – der Kulturkampf“, so Litvachky. Sie ergänzt: „Damit soll der historische Kollektivismus in Argentiniens gebrochen werden, die Solidarität, die Gewerkschaftslandschaft, die erkämpften Rechte, all das sieht Milei als seine Feinde an.“

Doch Milei erfährt dabei Unterstützung. Erst die konservative Rechte und ihre Wahlempfehlung für Milei in der Stichwahl habe dessen Aufstieg ermöglicht, sagt Litvachky. Obwohl er die Politiker*innen traditioneller Parteien während seines Wahlkampfs als „politische Kaste“ beschimpfte, ernannte er einige von ihnen anschließend zu Minister*innen.

 

Internationale Vernetzung

Auch international erfährt Milei Zuspruch. Am 22. Juni ehrte ihn die rechts-libertäre Hayek-Gesellschaft in Hamburg. In dieser Gesellschaft finden sich unter der einenden Klammer der wirtschaftlichen Freiheit Ökonomen sowie Politiker*innen vom rechten Rand der FDP bis zur AfD zusammen. Während Milei im Hotel Hafen die „Hayek-Medaille“ erhielt, protestierten vor dem Hotel etwa 500 Personen. Im Rahmen eines „Anti-Milei-Monats“ hatte ein Bündnis von NGOs, politischen und migrantischen Gruppen Veranstaltungen organisiert und zu Kundegebungen und Demonstrationen aufgerufen.
Lucio Piccoli von der Asamblea Solidaridad con Argentina ist Teil des Bündnisses. Er sagt: „Wir im Ausland wollen darauf aufmerksam machen, dass Milei eine bedeutende Rolle in der Vernetzung der internationalen Rechten spielt“. Das Erstarken rechter Regierungen und Bewegungen sei erschreckend, so Piccolo. „Wenn er sich durchsetzt, wird er ein Präzedenzfall für andere Länder werden. Unsere Aufgabe ist es, das öffentliche Bewusstsein für diese Entwicklung zu schärfen.“

Im Mai war Milei bereits bei der Viva 2024, einem von der spanischen VOX Partei initiierten internationalen Treffen der extremen Rechten in Madrid als Starredner aufgetreten. Dort hatte er Regierungschef Pedro Sánchez provoziert und dessen Frau Begoña Gómez beleidigt, die von einer rechten Organisation der Korruption bezichtigt wird. Die spanische Regierung zog daraufhin ihre Botschafterin aus Argentinien ab. Am 21. Juni erhielt Milei nun einen Preis von der konservativen Regionalpräsidentin Madrids, Isabel Díaz Ayuso, und einen weiteren vom rechts-libertären Institut Juan de Mariana. In Madrid protestierte unter anderem die feministische Gruppe Femen mit nackten Oberkörpern gegen die konservative Familien- und Geschlechterpolitik Mileis.

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Bitte lest auch die Zwischenbilanz der argentinischen Menschenrechtsorganisation CELS über die Situation in Argentinien sechs Monate nach Mileis Amtsantritt

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